Titel
Information und Propaganda. Die Presse deutscher Jakobiner im Elsaß (1791-1800)


Autor(en)
Lachenicht, Susanne
Reihe
Ancien Régime, Aufklärung und Revolution 37
Erschienen
München 2004: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
543 S.
Preis
€ 59,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Iseli, Neuere Allgemeine Geschichte, Universität Bern

Susanne Lachenicht weist in der Einleitung ihrer umfang- und detailreichen Dissertation (Universität Heidelberg) auf ebenso umfangreiche und gewichtige Forschungsziele. Sie will anhand einer minutiösen Analyse der Presseerzeugnisse deutscher Jakobiner im Departement Bas-Rhin (nördliches Elsass) 1. zur Pressegeschichte, 2. zu einer präziseren Kenntnis des deutschen Jakobinismus beitragen, 3. deren „Kulturtransfer“ aufweisen und nicht zuletzt die Ergebnisse in die Diskussion um den Habermasschen Öffentlichkeitsbegriff einordnen. Ihr ambitiöses Forschungsprogramm erfüllt sie sicherlich für die beiden ersten Punkte, die Lachenicht selber auch als Schwerpunkte ausweist (S. 19), für die beiden letzteren Punkte hingegen bietet das analysierte Material vor allem eine Grundlage für eine weitere Problematisierung der Konzepte „Kulturtransfer“ und „Öffentlichkeit“.

Die klar strukturierte Studie erschließt die untersuchten Periodika der elsässischen Revolutionszeit in sieben Schritten. Im ersten Kapitel (S. 33-77) steckt Lachenicht den historischen Rahmen ab, wobei sie einerseits auf die politischen Ereignisse in Deutschland wie auch im Elsass nach Beginn der französischen Revolution eingeht und andererseits Pressewesen und die mal freiere, mal restriktivere Zensurpolitik während der Revolutionsphase kurz beleuchtet. Vor diesem Hintergrund beginnt die eigentliche Analyse der 19 (von über 50 elsässischen politischen Zeitungen und Zeitschriften), zwischen 1791 und 1800 maßgeblich von deutschen Jakobinern herausgegebenen Periodika, wie beispielsweise die Titel „Argos“, „Strasburgisches politisches Journal“, „Straßburger Kurier“ und „Weltbote“.

Die Analyse erfolgt zunächst mit dem Erfassen der „äußeren Umstände“. Einerseits erstellt Lachenicht ein „Gruppenprofil“ (S. 78-124) der Herausgeber und Autoren, wobei diese Gruppe aber als relativ klein bezeichnet werden muss, umfasste sie doch insgesamt nur zehn deutsche Emigranten. Dennoch sind einige gemeinsame Merkmale festzustellen: „Fast alle“ (S. 102) waren bereits vor ihrer Emigration publizistisch tätig, fast alle hatten eine bürgerliche Herkunft und sie konnten während der Revolutionszeit keine Spitzenämter innerhalb der französischen Verwaltung erlangen. Über ihre Motive zur Emigration kann nur spekuliert werden; spätestens an diesem Punkt wird das Individuelle der Einzelbiografien, die sich letztlich gegen ein gemeinsames „Profil“ sperren, deutlich. Andererseits versucht Lachenicht die verschiedenen Faktoren der Zeitungsproduktion zu erschließen (S. 125-200), was zunächst über die Identifizierung der Herausgeber und „Journalisten“ sowie deren Informationsbeschaffung erfolgt. Letztere basierte auf der Auswertung französischer Periodika und bemerkenswerter Weise auch englischsprachiger. Zudem verfügten einige Blätter über ein relativ ausgedehntes Korrespondentennetz mit Ansprechpartnern in Paris, in Deutschland, Wien und in der Schweiz. Lachenicht versucht auch die Auflagenstärke der Periodika zu erheben und kommt dabei zum Schluss, dass sich die Emigrantenpresse im Elsass im Vergleich zu anderen Departementszeitungen im mittleren Feld positionieren konnte. Auf die Preispolitik der Herausgeber sowie die Strategien, neue Leserschaften zu gewinnen, zu denen Ankündigungen in anderen Periodika wie auch das bekannte Subskriptionssystem zählten, geht Lachenicht ebenfalls differenziert ein. Für die Distribution der Zeitschriften ist eine erstaunliche Reichweite festzuhalten, wobei diese – verständlicherweise – nur punktuell nachgewiesen werden kann.

Aufgrund der Untersuchung der äußeren Darstellungsform der Zeitungen und Zeitschriften (S. 200-223) spricht Lachenicht diesen hohe Professionalität und Qualität zu (S. 222). Dies erkläre sich aus dem Druck der Konkurrenz um eine möglichst große und konstante Leserschaft, vor allem aber lasse sich daraus ein Know-How-Transfer ablesen. Dies betraf vor allem die Rubrizierung. Die Rubrik war in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts noch ein wenig gebräuchliches Mittel zur Strukturierung von Nachrichten, während beispielsweise holländische Periodika Frühformen von Rubriken bereits Ende des 17. Jahrhunderts aufwiesen. Interessanterweise hatten fast alle Emigrantenzeitungen feste Rubriken und waren somit den anderen französischen Presseerzeugnissen (inklusive den meisten Pariser Zeitungen) einen wesentlichen Schritt voraus (S. 219).

Mit einem kurzen Aufriss von Titeln und in den Periodika formulierten Programmen (S. 224-242) leitet Lachenicht die inhaltliche Untersuchung ein, die sie mit einer quantitativen Inhaltsanalyse eröffnet (S. 243-263). Als wichtigste Ergebnisse für die Pressegeschichte müssen hier zwei Punkte festgehalten werden. Zunächst waren jene Zeitungen über längere Zeit erfolgreich, die zu einem konstanten Verhältnis zwischen Nachrichten zu „Frankreich“, zum „Ausland“ und zum „Krieg“ fanden und die persönliche Meinungsäußerungen der Journalisten in den Hintergrund stellten. Außerdem hebt Lachenicht den Nachrichtentransfer als besondere Leistung der Emigrantenpresse hervor, womit sie die kontinuierliche Berichterstattung zu den politischen Ereignissen in Frankreich meint, d.h. Übersetzung von Reden im Parlament oder von Gesetzestexten (S. 263).

Was sich als Tendenz bereits in diesem Kapitel abzeichnet, dass nämlich die Emigrantenpresse durchaus kein reines Propagandamittel war, konkretisiert sich in der „Inhalts- und Diskursanalyse“ (S. 264-392). Die deutschen Jakobiner waren zwar alle Anhänger der Revolution und hofften auch auf eine Revolutionierung Deutschlands, doch radikalisierten sich nicht alle Vertreter im gleichen Ausmaß. Während Eulogius Schneider und Friedrich Butenschön die revolutionäre Entwicklung bis in die Terreur billigten und stützten – letzterer hielt selbst dann noch zu Robespierres Politik, als dieser seinen Freund Schneider hinrichten ließ (S. 307) –, fanden sich unter den Emigranten auch Getreue der Konstitution von 1791, wie beispielsweise Anton Dereser, der sich vom Anti-Robespierristen zum Anti-Jakobiner entwickelte (S. 311). Dereser war allerdings ein Ausnahmefall, denn, so Lachenicht, die deutschen Jakobiner müssen insgesamt als radikaler beurteilt werden, als dies bislang in der Geschichtsschreibung der Fall war S. (354). Ob die Zeitungen und Zeitschriften primär politische Propaganda betrieben, hing – verständlicherweise – von den verantwortlichen Redakteuren ab. Lachenicht kommt somit auch zu keiner eindeutigen Aussage. Sie bezeichnet den deutschen Jakobinismus, wie er sich in der Emigrantenpresse präsentierte, als „janusköpfig“, „ambivalent“ und „inkohärent“ (S. 429), stellt aber kurz darauf fest, dass eine „kontinuierliche Indoktrinierung des Lesers“ (S. 430) wesentlicher Bestandteil der Periodika war.

Diese widersprüchlichen Stellungnahmen sind einerseits auf die höchst differenzierte Vorgehensweise und den Detailreichtum zurückzuführen, die Lachenichts Studie auszeichnen. Andererseits führte sie aber auch zu viele Kategorien ein, an denen sie ihre Resultate messen möchte. Die „Indoktrinierung des Lesers“ stellt sie in Zusammenhang mit einem von den Emigranten intendierten Kulturtransfer. Ob allerdings Agitation und Indoktrinierung als „Kulturtransfer“ bezeichnet werden können, darf zumindest in Frage gestellt werden. Hingegen wäre die Analyse der Übersetzungsleistungen der Emigranten ein spannendes Feld zur Erforschung von Kulturtransfer, was Lachenicht exemplarisch am Begriff „Nation“ auch aufzeigt (S. 288-292). Es hätte der Studie auch keinen Abbruch getan, wenn die Ergebnisse nicht auch noch am komplexen Konzept der „Öffentlichkeit“ gemessen worden wären (S. 433-437). Selbst in Anführungsstrichen vermag „obrigkeitliche Öffentlichkeit“ (S. 435), die Lachenicht in der Reaktion deutscher Obrigkeiten auf die Emigrantenpresse als gegeben sieht, wenig zu klären.

Lachenicht hat für ihre Studie eine Unmenge an Daten und Zahlen erhoben und semantische Felder abgesteckt, die sie in Form von Tabellen in den Text einarbeitet, den größten Teil aber im Anhang unterbringt, sei es die Rekonstruktion der Biografien der deutschen Emigranten oder aber die Wortfrequenzanalyse, für die sie von A wie Aberglaube bis Z wie Zensur Wörter ausgezählt hat. Das von Susanne Lachenicht aufbereitete Material stellt nicht nur eine beeindruckende Leistung dar, sie bietet auch eine solide und differenzierte Basis für vergleichende Studien zur Pressegeschichte.